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TEXTILE KULTUR HASLACH 2022

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Das Sommersymposium TEXTILE KULTUR HASLACH stand heuer unter dem Motto VERBUNDENHEIT.

Seit mittlerweile 30 Jahren findet im Juli das internationale Sommersymposium TEXTILE KULTUR HASLACH statt. Heuer war es zwischen 11. und 29. Juli wieder soweit: Über 250 Personen nahmen am vielfältigen Kursprogramm teil, das in den Werkstätten im Textilen Zentrum Haslach angeboten wurde. Außerdem traf man sich zu Ausstellungseröffnungen, Vorträgen, Kinovorführungen oder gemeinsamen Abendessen am Kirchenplatz. Parallel zur dritten Kurswoche wurde heuer auch wieder eine Experimentierwerkstatt angeboten, bei der 6 junge Designerinnen ausgewählt wurden, an der elektronisch gesteuerten Jacquardwebmaschine ihre eigenen Ideen zu realisierten.

Der Webermarkt am 23./24. Juli 2022 lockte Tausende Texilbegeisterte aus nah und fern ins Mühlviertel. Im ältesten Ortsteil Haslachs, in den verwinkelten Gässchen "auf der Stelzn" und rund um die alte Textilfabrik "Vonwiller" herrschte reges Treiben. Über 100 Aussteller/innen boten ihre hochwertigen Produkte dem interessierten Publikum an - es wurde geschaut, gefühlt, probiert, getratscht, gefachsimpelt und viel gekauft! Unter den Aussteller/innen waren heimische Textilbetriebe, sowie jurierte Textilschaffende aus mehreren Ländern, die teilweise in selten gewordenen Techniken besondere Unikate fertigen. Sie tragen wesentlich zum Erhalt der langen Handwerkskultur bei und genießen in Haslach die besondere Atmosphäre und die Wertschätzung, die ihnen und ihrer Arbeit entgegengebracht wird. Parallel zum Webermarkt fand auch wieder die Faserzone statt – eine Fachmesse, bei der Garne, Rohmaterial und Zubehör verkauft wurden.

Die heurige Sonderausstellung WWW - World Wide Weaving zeigt eine handverlesene Auswahl exquisiter Jacquardgewebe von sechs internationalen Künstlerinnen von 4 Kontinenten. Sie ist noch bis 15. Oktober im Sonderausstellungsraum des Textilen Zentrums Haslach zu sehen.
Ein besonderes Angebot gibt es auch am Haslacher Kirchturm: Für das Projekt „Happy Hour – Momente der Verbundenheit“ wurden in Kooperation mit dem Künstler Joachim Eckl (Heim.art®) auf 7 Ebenen des Haslacher Kirchturms besondere Leinenbahnen installiert, die bis zum Herbst von allen Besuchern/innen in einem gemeinsamen Projekt bestickt werden sollen. Die Bahnen sind wie Wände montiert, sodass nur gestickt werden kann, wenn eine Person vor und eine hinter der Wand steht und sich die beiden Gegenüber jeweils die Nadel reichen. Ohne sich gegenseitig zu sehen, entsteht eine Art Dialog und die Möglichkeit, in einer Zeit voller Unsicherheiten die Erfahrung von Verbundenheit zu erleben. Einzelbesucher/innen können bei „Happy Hour – Momente der Verbundenheit“ noch bis 13. August, jeweils Do – Sa von 16:00 – 19:00 Uhr mitmachen. Das Angebot richtet sich auch an Gruppen von Kindern und Erwachsenen, die gemeinsam arbeiten möchten und bis Mitte Oktober einen individuellen Termin vereinbaren können.

Der nächste Webermarkt findet am 29./30. Juli 2023 statt. Für die Teilnahme kann man sich ab Anfang November unter www.textile.kultur.haslach.at bewerben.

Viele Fotos vom Sommersympsoium 2022 finden Sie unter https://textile-kultur-haslach.at/de/bildergalerie

HINTERGRUND

2017 fand in Haslach das Kunst- und Kulturprojekt BLEICHZEIT statt. Auf der ehemaligen Bleichwiese von Haslach wurden, so wie früher, Leinenbahnen ausgelegt und die lokale Bevölkerung eingeladen, darauf Kleidungsstücke abzulegen und anschließend die Bahnen drei Wochen lang zu bewässern und im Mond- und Sonnenlicht bleichen zu lassen. Wie auf einem überdimensionierten Foto waren nach der BLEICHZEIT die Silhouetten der Kleidungsstücke als Lichtbild dunkel auf hellem Grund zu sehen.
Sie erzählen einerseits vom langsamen Verbleichen einer Tradition, andererseits aber auch von Identität und der Kraft gemeinsamen Tuns und Erinnerns. (Rückblick: https://textile-kultur-haslach.at/de/2017, Bleichzeitfilm: https://www.youtube.com/watch?v=qYw6BmDuVXo)

Nun, einige Jahre später, wird auf Anregung des Künstlers Joachim Eckl an dieses Projekt angeknüpft und der Faden wieder aufgenommen, allerdings unter veränderten Vorzeichen: Manches ist in der Zwischenzeit anders geworden. Zwischen 2017 und heute liegt die Zeit der pandemiebedingten Isolation, auch dramatische geopolitische Veränderungen haben ihre Spuren hinterlassen. Erneut mussten sich viele Menschen auf die Flucht machen. Ganz allgemein ist die Zuversicht vieler in den letzten Jahren brüchig geworden und ein fragiles Lebensgefühl hat sich breit gemacht.

An diesem Punkt setzt das Projekt „HAPPY HOUR - Momente der Verbundenheit“ an. Die BLEICHZEIT-Bahnen von 2017 sind im Sommer 2022 auf 7 Etagen im Haslacher Kirchturms installiert und alle sind eingeladen, an diesen besonderen Textilien weiterzuarbeiten, sie zu besticken und ihnen somit neues Leben zu verleihen. Die Arbeit an diesem gemeinschaftlichen Projekt - sei es in Gruppen, zu zweit oder alleine - schreibt die Geschichten der Menschen auf den als Leinwänden installierten Stoffen Stich für Stich weiter. Sie bietet in der aktuellen Situation Raum, nach der Zeit der Vereinzelung und Isolation
wieder Gemeinsames zu schaffen und lädt neben der lokalen Bevölkerung gezielt Menschen mit
Migrationshintergrund ein, ihrer eigenen Identität mit Nadel und Zwirn Gestalt zu verleihen.   

Gerade textile Tätigkeiten haben die Kraft, Verbindungen herzustellen, oft ganz ohne Worte. Text und Textil haben denselben Ursprung. Sie leiten sich vom lateinischen Wort texere ab, was so viel bedeutet wie „zusammenfügen“, im Sinne von verbinden. So wie ein Text erst durch das Zusammenfügen vieler einzelner Worte zu einem sinnvollen Ganzen wird, so setzt sich auch ein Stoff aus vielen einzelnen Fäden, Stichen oder Maschen zusammen. Textilien sprechen eine eigene Sprache, die von Zusammenhalt und Bindung erzählt – intuitiv und über alle Kulturen hinweg.
Indem die Stoffbahnen der Haslacher BLEICHZEIT zur Weiterbearbeitung angeboten werden, wird ein
Zeichen gesetzt – gleichsam für jene, die schon lange in dieser Gegend leben und für jene, die aus anderen Teilen der Welt hierhergekommen sind. Den ‚Schattenbildern der Vergangenheit‘, die langsam verblassen, kann somit wieder Farbe und Glanz eingehaucht werden.
Die Technik des Stickens ist dabei nicht zufällig gewählt. Diese mobile Technik bietet maximalen
Gestaltungsfreiraum, kommt in allen Kulturen vor und weist die unterschiedlichsten Ausprägungen
auf. Beim Sticken geht es immer um das Durchdringen einer Grenze. Erst wenn die Nadel den Stoff durchsticht, kann der Faden Halt finden.
Die im Kirchturm wie Wände gespannten Stoffbahnen sind teilweise von einer Person allein nicht zu
bearbeiten. Nur wenn auf beiden Seiten der Wand jemand steht und eine/r jeweils die Nadel des/der anderen entgegennimmt, kann ein gestickter Dialog entstehen - über alle Barrieren hinweg. Wer innen und wer außen steht relativiert sich Stich für Stich. Auch der Ort hat seine Bedeutung: Der Kirchturm von Haslach wurde ursprünglich als Wehrturm gegen Angriffe von außen errichtet. Seine dicken Mauern sollten den Haslacherinnen und Haslachern einst Schutz bieten und für Sicherheit und Stabilität sorgen. Dieses Gefühl des Geschütztseins soll das Gebäude nun allen vermitteln, die in ihm arbeiten. Auch vermittelt der Turm die Geste des höher nach oben Strebens.

Das Projekt „HAPPY HOUR - Momente der Verbundenheit“ ist – so wie auch die BLEICHZEIT 2017 - eine Kooperation des Künstlers Joachim Eckl (HEIM.ART®) mit dem TEXTILEN ZENTRUM HASLACH und dem Verein  TEXTILE KULTUR HASLACH.

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